Interview: "Viele RZ-Betreiber werden Ihre Strategie überdenken müssen"
Dank der EN 50600 Norn waren viele RZ-Betreiber auf Auswirkungen Pandemie vorbereitet. Wie meistert die Branche die Situation und welche Veränderungen kommen auf die Branche zu? Ein Gespräch mit Thomas Wawra, CEO der DCE Academy.
Was sind die aktuellen Herausforderungen durch Covid-19, denen derzeit die RZ-Spezialisten stellen müssen?
Thomas Wawra:
Es sind besonders schwierige Zeiten für die Rechenzentrumsfachleute, deren Hauptziel es ist, die Infrastruktur ihres jeweiligen Unternehmens am Laufen zu halten.
Eine weitere Herausforderung ergibt sich, da derzeit nur die Kerngruppen von wenigen Mitarbeitern im Rechenzentrum vor Ort sind und der Rest der Teams von zu Hause aus arbeitet.
In Deutschland und auf globaler Ebene erleben wir als Konsequenz der Krise, dass das Internet viel stärker als je zuvor vom Homeoffice aus genutzt wird.
Teilnahme an Videokonferenzen, Streaming von Musik und HD-Inhalten werden nicht nur am Abend sondern auch während des gesamten Tages genutzt. Hinzu kommt, dass Schüler und Studenten zusätzlich in regem Kontakt mit Lehrern und Professoren stehen.
Die IT-Infrastrukturen könnten bald an ihre Grenzen stoßen, zum Teil ist das bereits der Fall.
Ich habe mit einigen mir bekannten Betreibern gesprochen. Alle skalieren, um diese Bandbreiten-probleme zu lösen. Die Arbeit all dieser Spezialisten im Bereich Rechenzentren ist und wird jetzt noch wichtiger als je zuvor.
Bandbreite und Verfügbarkeit sind also eine Herausforderung, aber was ist mit Sicherheit? Was erleben Ihre Kunden? Wie führen sie ihr Geschäft in dieser Krise?
Die Unternehmen und unsere Kunden sind vorbereitet, da sie Business Continuity- und Notfallpläne haben. Sie arbeiten jetzt im Notfallmodus. Darauf kann man sich vorbereiten, doch sich dann tatsächlich unmittelbar anzupassen und täglich so zu operieren, fordert eine hohe Flexibilität.
Wie sieht dieser Notfallmodus aus?
Dies bedeutet, dass nur eine oder wenige Personen vor Ort sind, die die physisch erforderlichen Vorgänge ausführen wie z.B. das Patchen von Kabeln. Der Rest des Teams arbeitet remote.
Um zu Hause vom Laptop aus arbeiten zu können, greift ein Mitarbeiter über VPN und z.B. Citrix auf einen zentralen Gateway-Computer zu. Von dort erhält er dann via Zwei-Faktor-Authentifizierung oder eines sicheren Personalausweises Zugriff auf die Anwendung, an der er dann arbeiten kann.
Dieser Prozess wurde vor COVID-19 regelmäßig getestet, muss aber jetzt im täglichen Betrieb kontinuierlich umgesetzt werden.
Wie ernst haben die Betreiber eine solchen Bedrohung genommen? Wurde jemals ein solches Szenario diskutiert?
Die Branche war und ist sich natürlich des Risikos extremer Situationen bewusst. Ein wichtiger Baustein ist das „Business Continuity Management“ im Rahmen unserer „Operations“-Schulung, in der wir die Teilnehmer auf diese Thematik sensibilisieren.
Zudem unterstützt hier die neue Norm EN 50600. Diese Norm wurde seit der Veröffentlichung 2014 sehr positiv vom Markt aufgenommen und ist der Leitfaden für alle, die in der Rechenzentrumsbranche tätig sind.
Der erste Teil der Norm, Allgemeine Grundlagen, befasst sich mit dem Thema Risikobewertung. Viele Unternehmen, haben Pläne erstellt, falls sie diese noch nicht zuvor hatten, wie sie Ihre Infrastruktur in Extremsituationen managen werden. Darauf können sie jetzt zurückgreifen und sind somit vorbereitet.
Aber ganz ehrlich, ich glaube, niemand hat erahnt, was gerade passiert.
Wie läuft das Geschäft jetzt?
Natürlich gibt es kleine und größere Probleme.
Wir sind immer noch weit vom normalen Geschäftsbetrieb entfernt. Aber langsam scheint es weniger Reibungen zu geben, wie ich von Kunden und von Collocation-Anbietern gehört habe. Die Branche leistet wirklich gute Arbeit.
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Wie agil sind Rechenzentren im Umgang mit Krisen? Dieses Schlagwort ist in anderen Technologiebereichen sehr verbreitet, insbesondere in der Softwareentwicklung, in der die Anwendungen, die in Rechenzentren ausgeführt werden, erstellt werden. Wie denken Sie über die agile Kultur?
Ich denke, das ist noch kein richtiger Trend in unserer Branche. Ein Rechenzentrum ist eine so komplexe Umgebung, die so viele verschiedene Komponenten und Techniken umfasst. Agilität ist wichtig und ein Baustein in unserem Operations-Seminar. Nach der Krise könnten wir hier Bewegung sehen. Definitiv sollten wir versuchen dieses Konzept, wo sinnvoll und machbar, in unserer Branche zu implementieren.
Wie wird sich die Branche verändern?
Vor COVID-19 ging der Trend dahin, alle nicht geschäftskritischen Anwendungen in die Cloud auszulagern. Kurz nach COVID-19-Ausbruch wurde diese Strategie bereits von einigen Unternehmen infrage gestellt.
Denn jetzt, da viele Nutzer von zu Hause aus arbeiteten, haben einige Unternehmen schwerwiegende Performanceprobleme, die ihr Kerngeschäft gefährden.
Ganz sicher werden einige jetzt ihre Entscheidungen überdenken und überlegen, in Zukunft wieder alle Anwendungen in ihrem eigenen Rechenzentrum zu hosten.
Zudem planen Unternehmen mehr fest angestelltes Personal einzustellen, um zukünftig noch besser vorbereitet zu sein.
Also auch der Arbeitsmarkt wird sich verändern?
Wir haben bereits einen Fachkräftemangel in der Branche. Es gibt eine Studie, die besagt, dass mehr als 20% der Experten innerhalb der nächsten 24 Monate in den Ruhestand gehen werden.
Es wird eine noch größere Nachfrage nach Fachkräften geben.
Da diese aber kaum verfügbar sind, konzentrieren sich Unternehmen darauf, ihre eigenen Mitarbeiter zu Experten für Rechenzentren basierend auf der Norm EN 50600 auszubilden, anstatt Aufgaben auszulagern.
Können Sie ein Beispiel geben?
Ein Trend ist deutlich steigende Anzahl von Kursteilnehmern pro Unternehmen. Vor wenigen Jahren haben Unternehmen in der Regel ein oder zwei Spezialisten entsandt, um sie in Bezug auf die EN-Norm 50600 und die Geschäftskontinuität zu schulen. Jetzt schicken sie das gesamte Rechenzentrumsteam auf nationaler und internationaler Ebene.
Die Betreiber haben erkannt, dass man sich in kritischen Situationen nicht nur auf eine Handvoll hochqualifizierter Personen verlassen kann.
Unsere Kunden berichten, wie hilfreich unsere Schulungen waren, um in Krisenzeiten schnell reagieren zu können, da z.B. in den Notfallbesprechungen alle beteiligten Personen über ein bestimmtes Wissen verfügten und wussten, wie sie mit bestimmten technischen Problemen umgehen müssen, um den Betrieb bei höchster Verfügbarkeit sicherzustellen.
Dies ist auch der Grund, warum wir den dreistufigen Ausbildungsweg „Data Center Specialist“ entwickelt haben. Er hilft Unternehmen, hochqualifizierte Rechenzentrumsbetreiber schneller auf den neuesten Stand zu bringen und kritische Situation im Team zu meistern.
Wie passen Sie sich als Seminaranbieter dieser Situation an? Eine zusätzliche Möglichkeit ist der Online-Kurs, LOL (Live Online Learning).
Seit Ausbruch der Corona-Krise können wir unsere Seminare nicht mehr wie gewohnt als Präsenzseminar im „Classroom – Format“ mit viel Interaktion und Gruppenarbeit durchführen.
Die Fachleute, unsere Seminarteilnehmer, sind zu Hause und benötigen z.B. wichtige Informationen zum aktuellen Stand der Norm EN50600, die sie jetzt online erhalten können. Zugang zu diesem Wissen bieten wir via Live Online Learning, dem neuen Webinar-Format der DCE academy an.
Können Sie den Networking-Aspekt ebenfalls einbringen?
Wir bei der DCE academy legen großen Wert auf die Networking-Komponente unter den Teilnehmern unserer Seminare. Es ist eine Herausforderung, Zugang zu kritischem Wissen und Kenntnissen weiterhin gewährleisten können, und dabei interaktiv bleiben.
Aus diesem Grund setzen wir auch bei den Webinaren auf Online-Spiele wie „Kahoot“, eine spielbasierte Lernplattform, oder nutzen das „Whiteboard zum Brainstorming“.
Das funktioniert ebenfalls sehr gut, kann aber natürlich nicht jeden Aspekt eines Präsenzseminars abdecken.
Ich denke, dass wir nach der Krise dem Thema Homeoffice und Online Learning offener gegenüberstehen und wir im Bereich Aus- und Weiterbildung spannende neue Formate sehen werden.
Thomas Wawra
Dipl. Ing. Thomas Wawra
Dipl. Ing. Thomas Wawra gründete 2007 die DCE academy GmbH und entwickelte sie zum führenden Anbieter von herstellerneutralen Schulungen im Bereich Rechenzentrum basierend auf der Norm EN 50600.
Als Sponsor unterstützt er aktiv die Internationalisierung der Norm zur ISO 22237 und referiert weltweit auf Kongressen zu Normierungsfragen. Vor seinem Engagement bei der DCE academy leitete Thomas Wawra 10 Jahre lang als Gesamtverantwortlicher das Auslandsgeschäft der Venali Inc., Miami, USA.